Earthship Biotecture – eine Bau-Utopie verwirklicht aus Müll

Was wäre, wenn ein Teil des täglich massenhaft produzierten Abfalls benutzt wird, um daraus ökologische und nachhaltige Wohngebäude zu schaffen? Die Antwort auf diese Frage kann im baden-württembergischen Dorf Kreßberg in der sozial ökologischen Siedlung Schloss Tempelhof erkundet werden. Dort steht seit 2016 das erste sogenannte Earthship in deutschen Gefilden – ein autarkes und ökologisches Gebäudekonzept gebaut mit Recyclingmaterial aus haushalts- und gewerbeüblichem Müll. 

Außenansicht des Earthships der Siedlung Schloss Tempelhof.
Bild: Copyright Schloss Tempelhof

Earthship Philosophie

“Stellt Euch ein Haus vor, das sich selbst heizt, sein Wasser liefert, Essen produziert. Es braucht keine teure Technologie, recycelt seinen eigenen Abfall, hat seine eigenen Energiequellen. Es kann überall und von jedem gebaut werden, aus Dingen, die unsere Gesellschaft wegwirft.”

Dies beschreibt treffend das Gebäudekonzept des Earthships, entwickelt und entworfen durch den US-amerikanischen Architekten und Zitatgeber Michael Reynolds. Als glühender Vertreter einer radikal nachhaltigen Lebensweise kritisiert er seit Jahren die gedankenlose Ressourcenverschwendung in der heutigen Lebensweise und insbesondere in der Architektur. Stattdessen propagiert er das Upcylen von Abfallmaterial, um Häuser zu bauen. Seit den 1970er Jahren entstehen in Taos, New Mexico/USA, die Prototypen der Earthships, worauf die Entwicklung der Earthship Biotecture (Zusammensetzung aus den englischen Wörtern ‘biology’ und ‘architecture’) gründet. 

Die Eckpfeiler der Earthship Biotecture basieren auf folgenden Merkmalen: 

  • Pflanzen: Produzieren frischen Sauerstoff für den Innenraum des Earthships und werden zu Selbstversorgerzwecken angebaut.
  • Mehrfachnutzung von Wasser: Das gesammelte und gefilterte Regenwasser wird als Waschwasser und zum Gießen der Pflanzen im Wintergarten genutzt.
  • Bauen mit Öko- und Recyclingmaterial: Der Einsatz von lokal verfügbaren Recyclingstoffen, wie gebrauchtes Holz, Reifen, Glas und Erde als Baumaterial für das Gebäude.
  • Thermalmasse als Wärmespeicher: Die passive Wärmeerzeugung durch Solarenergie, die auf der komplett verglasten Südseite gesammelt wird und die Einbettung in einen Erdwall sowie Wände aus mit Erde gefüllten Reifen dienen als thermischer Wärmespeicher.
  • Erneuerbare Energiequellen: Die Stromerzeugung mittels Photovoltaikanlage und die Warmwasserbereitung durch Solarthermie.
  • Abwassernutzung: Verwendung des gefilterten Wassers aus Waschbecken, Dusche und Waschmaschine für die Toilettenspülung.
Innenliegendes begrüntes Atrium. Bild: Copyright Schloss Tempelhof

Bauweise des Earthships Schloss Tempelhof 

Das Gebäudekonzept beruht zentral auf die Einbettung in einen Erdwall, dem verschiedene Funktionen zukommen: Zum einen gibt es eine klare längliche Gebäudeausrichtung entlang der Nord-Süd-Achse. Dabei liegt die Nordseite (Rückseite) des Earthships komplett im Erdwall. Auf der Frontseite (Südseite) des Gebäudes wird in der Regel eine durchgehende Fensterfassade gebaut. Dahinter liegt ein Atrium, das Platz schafft für den Pflanzenbereich. Dieser ist einer zweiten inneren Glasfront der Wohn- und Nutzräume vorgelagert. Im Atrium ergibt sich ein Effekt, der dem eines Gewächshauses oder Wintergartens ähnelt. Die Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsverhältnisse eignen sich dort hervorragend für den Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern. Zusätzlich nehmen die Pflanzen Kohlenstoffdioxid auf und versorgen die Räumlichkeiten mit frischem Sauerstoff. 

Zum anderen bestehen die U-förmigen Außenwände des Gebäudes aus Reifen, die mit Erde gefüllt, verdichtet und abschließend mit Lehm verputzt wurden. Diese grenzen direkt an den Erdwall und bilden zusammen den thermischen Speicher des Gebäudes. In diesem Erdwall sind Rohre für die Frischluftzuleitung verlegt. Im Sommer hat der Erdwall einen kühlenden Effekt auf die Frischluft und im Winter wärmt er diese an. Angetrieben wird die Luftzirkulation durch Lüftungsschächte im oberen Wand- bzw. Dachbereich des Gebäudes, was mit dem Funktionsprinzips eines Kamins verglichen werden kann. Eine klassische Heizung ist somit überflüssig, da diese durch das Lüftungssystem über den thermalen Speicher ersetzt wird. 

Das Dach ist in Form eines flachen Pultdaches mit circa 6 Grad Dachneigung aufgebaut. Auf der Autoreifenwand wurde ein betonierter Ringanker verbaut, der auf der Nordseite des Gebäudes als Auflager für die Dachsparren dient. Auf der Südseite liegen die Dachsparren auf den Holzständern im Rahmenbau der zweiten inneren Fensterfront. Der Dachaufbau entspricht dem typischen Aufbau begrünter Dächer: Auf den Dachbalken liegt eine Lage Rauhspundschalung, darauf ist eine Dampfsperre angebracht; als Dämmschicht wurden Glasschaumplatten und Schafwolle verwendet; diese sind mit verschweißten Dachbahnen abgedichtet und letztlich wurde darauf die Dachbegrünung umgesetzt. 

Mithilfe einer Photovoltaikanlage wird Strom erzeugt, der in Batterien gespeichert für die elektrischen Geräte und den sonstigen Stromverbrauch der Bewohner genutzt werden kann. Eine Solarthermieanlage versorgt die Duschen, die Waschbecken und die Küchenspüle mit Warmwasser. An dieser Stelle ist auch die Anwendung von umweltunschädlichen Waschmitteln maßgeblich, denn das geringfügig verschmutzte Abwasser aus Duschen und Waschbecken wird nach seiner Filterung für die Bewässerung des Wintergartens weiterverwendet. 

Neben den genannten Baumaterialien für Wand- und Dachkonstruktion, wie gebrauchte Autoreifen von Altreifenhändlern und gebrauchtes Holz aus Abbruchbaustellen, wurden auch Altglas aus Hotels und Restaurants sowie Bruchfliesen, ebenfalls aus Abbruchbaustellen, als gestalterische Elemente für Innenwände und die Befliesung der Duschen und Sanitärräume verwendet. 

Die detaillierten Baupläne des Earthships Schloss Tempelhof, die für den Bauantrag eingereicht wurden, können auf der Website der gemeinnützigen Stiftung eingesehen werden. Der schematische Grundriss sowie der Längs- und Querschnitt befinden sich am Ende des Beitrags.

Detail einer mit Flaschenböden ausgefüllten und Lehm verputzten Innenwand.
Bild: Copyright Schloss Tempelhof

Deutsches Baurecht vs. Bau-Utopie 

Die Idee, das Earthship Gebäudekonzept in Deutschland umzusetzen, entstand bereits 2011. Jedoch scheiterte das Originalkonzept von Reynolds zunächst am deutschen Baurecht. Demnach ist es nicht möglich ein Objekt zu bauen, dass nicht am Frisch- und Abwassernetz angeschlossen ist. Laut behördlichen Beschlusses des zuständigen Bauamtes war es notwendig, sicherzustellen, dass das Trinkwasser aus hygienischen Gründen aus der Leitung kommt und Abwasser in die städtische Kanalisation fließen.  

Das Bauamt kam dem Schloss Tempelhof jedoch entgegen und genehmigte das Sammeln von Regenwasser über das begrünte Dach, um es gefiltert in einer Zisterne zu speichern und damit die Toiletten und die Waschmaschine mit Wasser zu versorgen. 

Für das Abwasser ist laut Earthship Biotecture eigentlich folgender Kreislauf vorgesehen: Bei dem ursprünglich als autarkem Gebäude geplanten Earthship muss das Abwasser aufbereitet werden, da es nicht an das öffentliche Abwassernetz angeschlossen ist. Entsprechend Reynolds sammelt sich das Abwasser in einer außenliegenden isolierten Mehrkammer-Klärgrube. Angeregt durch die Solarbeheizung zersetzen dort anaerobe Bakterien das Abwasser. Anschließend wird das aufbereitete Wasser über einen Überlauf in die Pflanzenbeete geleitet und für die Bewässerung und Nährstoffversorgung der Landpflanzen außerhalb des Gebäudes verwendet. Da bei einer solchen Vorgehensweise jedoch keinerlei Kontrollen der Wasserqualität möglich sind, um eine Verunreinigung des Bodens vorzubeugen, wurde die Abwasseraufbereitung so nicht genehmigt und durfte letztlich nicht umgesetzt werden. 

Die Waschräume im EARTHSHIP. Bild: Copyright Schloss Tempelhof

Wohnkonzept und Realisierung 

Die Zukunftswerkstatt Schloss Tempelhof nutzt die knapp 155 Quadratmeter ihres Earthships nicht als Einfamilienhaus, wie die Mehrzahl der weltweit anderen Earthsips. Stattdessen beherbergt es gemeinschaftlich genutzte Räume, wie Wohn- und Esszimmer, Küche, Dusche, Sanitär und Waschzimmer für eine Gemeinschaft bestehend aus 25 Menschen. Die privaten Räume der Bewohner:innen befinden sich in Bauwagen und Jurten, die um das Earthship herum verteilt sind. Dabei besteht die Gruppe aus einer bunten Mischung aus Familien mit Kindern, Singles, Paaren sowie Senioren und verleihen dem Schloss Tempelhof damit einen gewissen Mehrgenerationenhaus-Charakter. 

Die Realisierung des Earthships Schloss Tempelhof kostete rund 300.000 Euro, die zum Großteil aus eigenen Mitteln der Bewohner:innen  und teilweise aus Spendengeldern stammen.  In Zeiten steigender Mieten und horrender Grundstückspreise ein durchaus erschwinglicher Preis für alternativen und nachhaltigen Wohnraum.  

Nur in Zusammenarbeit mit Fachleuten, wie Architekten:innen, Ingenieuren:innen, Handwerkern:innen und jeder Menge Freiwilligen konnten die Bewohner:innen das Schloss Tempelhof in die Realität umsetzen. Dabei brachte jede/r Einzelne theoretisch und praktisch seine Kenntnisse und Fähigkeiten gemäß seiner/ihrer Möglichkeiten ein. Auch dieser gemeinschaftliche Gedanke ist grundlegend für die Earthship Biotecture-Philosophie. 

Gemeinschaftsküche des Earthships. Bild: Copyright Schloss Tempelhof

Prototyp für Mitteleuropa 

Das Earthship Schloss Tempelhof gilt als deutsches Forschungsobjekt und Prototyp, welches seit Entstehung der Idee wissenschaftlich begleitet wird. Denn bereits bei der Planung wurde ersichtlich, dass das ursprüngliche Konzept der Earthship Biotecture nicht eins zu eins in mitteleuropäischen Klimagebieten und gemäß landestypischer Baugesetze umgesetzt werden kann. Entsprechend werden seit der Planung bis zum heutigen Tag ständig neue Erkenntnisse gewonnen, um die entstehenden Defizite bei Planung, Umsetzung sowie Nutzung zu benennen und dafür neue nachhaltige Lösungsansätze zu finden. Auf Grundlage dieser gesammelten Daten könnten dann weitere angepasste Earthships in ganz Europas entstehen, die der radikal nachhaltigen Lebensweise ein Stückchen näherkommen. 

Grundriss des Earthships. Bild: Copyright Butlerium GmbH
Längs- und Querschnitt des Earthships. Bild: Copyright Butlerium GmbH
NPF

Nathalie Pfeiffer ist Bautischlerin und Bauingenieurin. Nach über 18 Jahren Arbeitserfahrung in diesen Berufen hat sie Hammer und Bauhelm gegen die Tastatur eingetauscht, um als Fachjournalistin über architektonische, bautechnische und handwerkliche Themen zu schreiben. 

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