Beflügelt das Gebäudetyp-E-Gesetz die deutsche Bauwirtschaft?

Die Bundesregierung beabsichtigt mit dem neuen Gebäudetyp-E-Gesetz die angeschlagene deutsche Bauwirtschaft anzukurbeln und damit einhergehend dem Wohnraummangel entgegenzuwirken. Dazu hat das Bundeskabinett Änderungen gemäß Vorlage von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) im Baugesetzbuch (BauGB) bewilligt, die erhebliche bürokratische und praktische Erleichterungen bei Bauvorhaben vorsehen. Nicht nur weltpolitische Zusammenhänge, sondern auch Versäumnisse der vergangenen sowie aktuellen deutschen Bundesregierungen haben dazu geführt, dass die Baubranche signifikant lahmt, dass Bauen an sich zu kostenintensiv ist und kaum neuer, aber dringend benötigter Wohnraum entsteht. Wir erläutern Ihnen alles Wesentliche zu Gebäudetypen im Allgemeinen, zum neuen Gebäudetyp-E-Gesetz und zu den Reaktionen darauf. 

Beteiligte Parteien in der Bauphase eines Gebäudes. Bild: Copyright Envato Elements

Gebäudetypen allgemein erklärt

Mit Gebäudetypen werden Objekte je nach ihrer Nutzungsart, der Bauweise bzw. ihren architektonischen Merkmale in verschiedene Kategorien unterteilt. So wird bei der Nutzungsart beispielsweise u.a. zwischen Wohn-, Misch-, Gewerbe- oder Industriegebäude unterschieden. Die Bauweise wird hingegen beispielsweise nach Holz-, Holzrahmen-, Massiv- oder Stahlbau kategorisiert. Diese Unterteilung hat deutliche Auswirkungen auf die Planung, den Bau und die Nutzung von Gebäuden. Für jede einzelne Kategorie gelten unterschiedliche Anforderungen und gesetzliche Vorgaben, die der/die Bauherr:in und/oder Bauträger:in einzuhalten haben.  

Die Gebäudetypen nehmen im Bauordnungsrecht eine wichtige Rolle ein, denn der Gebäudetyp schreibt die Anwendung spezifischer Bauvorschriften vor, die die Anforderungen an die Statik, den Brandschutz und die Energieeffizienz betreffen. So unterliegen etwa Wohnobjekte gegenüber Gewerbeobjekten sehr unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich dieser wesentlichen Aspekte. Demnach dient die richtige Kategorisierung des Gebäudetyps dazu, alle notwendigen Sicherheits- und Qualitätsstandards einzuhalten. 

Im Baugesetzbuch (BauGB) und in den verschiedenen Landesbauordnungen (LBO) der einzelnen Bundesländer finden sich konkrete Vorgaben, die Einfluss auf den Gebäudetyp haben. Doch nicht nur im Baurecht ist der Gebäudetyp relevant. Auch im Mietrecht, z.B. im Rahmen von § 556 BGB – Betriebskostenabrechnung oder im Wohnungseigentumsrecht, z.B. im Zusammenhang mit § 5 WEG – Sondereigentum an Gebäudeteilen, finden sich gewisse Regelungen, die in Abhängigkeit zum Gebäudetyp stehen. 

Gebäudetyp E im Detail erklärt

Der Gebäudetyp E soll für “einfaches, experimentelles und entbürokratisiertes” Bauen stehen. Der Begriff wird bereits im Zusammenhang mit Neubauten verwendet, soll aber auch auf Bauen im Bestand anwendbar sein. Im Wesentlichen geht es darum, dass Komfort-Standards deutlich von solchen Gebäuden mit “normalen” Standards abweichen dürfen. Mithilfe des experimentellen Bauens laut Gebäudetyp-E-Gesetz erhofft sich die Bundesregierung flexiblere Bauweisen, die nicht zwingend all die etwa 20.000 geltenden Bauregelungen und circa 4000 DIN-Normen einhalten müssen. In der Praxis kann das etwa den Verzicht von flächeneinnehmenden Stellplätzen oder massiven Garagen bedeuten und stattdessen die Einrichtung von Fahrradstellplätzen. Diese und viele andere experimentelle Ansätze werden bereits deutschlandweit als Pilotprojekte getestet. 

Grundsätzlich sollen trotz des experimentellen Ansatzes des Gebäudetyp-E-Gesetzes die hohen Sicherheitsstandards allerdings immer beibehalten und nur solche Standards, wie z.B. den Schallschutz oder allgemeine Ausstattungsmerkmale betreffend, unterschritten werden dürfen. Konkret hieße das, dass Betondecken nur noch 14 Zentimeter Dicke aufweisen können, statt der bislang gesetzlich geregelten 18 Zentimeter. Die damit einhergehende Materialeinsparung auch in anderen Teilen der Bautechnik eines Objekts hätte zur Folge, dass Bauvorhaben kostengünstiger wären, aber in diesem Fall eben unter der Prämisse, dass der Schallschutz zwischen den zwei Etagen eingeschränkt ist. 

Weitere konkrete Vorschläge, um mithilfe des Gebäudetyp-E-Gesetzes den Bauturbo zu zünden, decken vielfältige Bereiche ab und betreffen diverse Baubeteiligte. Nach Geywitz’ Vorstellung sollen in Ballungsräumen mit besonders angespannten Wohnungsmärkten nicht nur die bauliche Erweiterung (z.B. Aufstockung) von Bestandsgebäuden erleichtert werden. Ebenso sieht das Gesetz auch vor, die Nachverdichtung, z.B. in Form von Bebauung in zweiter Reihe auf Grundstücken oder in Hinterhöfen, voranzutreiben.  

Des Weiteren sollen Gemeinden in die Lage versetzt werden, wesentlich schneller Bebauungspläne aufzustellen. Statt der bisher jahrelang andauernden Prozedur bis zur Bebauungsplanerstellung sieht Geywitz’ Gesetz vor, den Vorgang auf unter 12 Monate zu reduzieren. Ferner erhalten die Länder mehr Kompetenzen, wenn es um den Mieterschutz und Wohneigentumsförderung geht. 

Mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz sollen Abweichungen von der Norm möglich sein.
Bild: Copyright Envato Elements

Wie sieht es mit der Rechtssicherheit dieses Gebäudetyps aus?

Auch wenn das Gebäudetyp-E-Gesetz erlaubt, von gewissen Standards abzuweichen, müssen Bauvorhaben, die nach diesem Gebäudetyp geplant und gebaut werden, dennoch unbedingt den sogenannten allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Dabei handelt es sich laut Definition um “technische Vorgaben für den Entwurf und die Ausführung von baulichen Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen, sowie insbesondere in dem Kreis der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.” 

Das Problem hierbei ist, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik nirgends verankert oder gar definiert sind. Stattdessen ergeben sie sich aus der Rechtsprechung, dass nur solche Bauvorhaben rechtssicher sind, die sich in der Praxis bewährt haben. Für private Bauherren und Bauherrinnen könnten Abweichungen von Baunormen, so wie sie das Gebäudetyp-E-Gesetz vorsieht, risikoreich sein, da dieser Personenkreis nicht über die Fachkenntnisse verfügt, was die anerkannten Regeln der Technik sind. Baubetriebe, Bauunternehmen etc. hingegen hätten hingegen wesentlich mehr Spielraum. 

Vor- und Nachteile dieses Gebäudetyps

Im Folgenden sind die Vor- und Nachteile des Gebäudetyp-E-Gesetz aufgelistet, wobei die Vorteile die Ziele sind, die sich die Bundesregierung unter Federführung von Frau Geywitz erhofft. Dem gegenüber stehen die Nachteile, wie sie Verbände, Fachkreise und andere Experten/Expertinnen sehen und kritisieren: 

Vorteile

  • beschleunigtes Planen und Bauen (z.B. Flächen erhalten schneller einen Bebauungsplan)
  • schnellere Schaffung von fehlendem Wohnraum, nicht nur in angespannten Ballungsgebieten, auch in ländlichen Bereichen
  • experimentelles Bauen (andere Bauweisen und -techniken umsetzbar)
  • günstigeres Bauen (weniger Baumaterial bedeutet gesenkte Kosten für Bauvorhaben)
  • individuellere Gestaltung der Gebäudeausstattung (Bauherren und Bauherrinnen sind z.B. freier hinsichtlich der Anzahl der Steckdosen)

Nachteile

  • niedrigere Wohnstandards (u.a. Schall- und Lärmschutz können niedriger sein als üblich)
  • Missachtung der Schutzziele der Bauordnung (gesetzlich geregelte Anforderungen sind nicht mehr zwingend)
  • schwierigere bzw. rechtlich unsichere Umsetzung von Bauvorhaben (Gebäudetyp E kann experimentell umgesetzt werden, muss aber dennoch im Einklang mit den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik konform gehen)
  • fachliche Kenntnisse für die Planung und den Bau von Gebäudetyp E sind Voraussetzung (private Bauherren und Bauherrinnen verfügen i.d.R. nicht über dieses Fachwissen)

Stimmen zum neuen Gebäudetyp

Florian Becker, Geschäftsführer des Bauherrenschutzbunds, sieht den Gebäudetyp E kritisch, da dieser nach seiner Ansicht “wenig geeignet für private Bauherren (ist), die Ein- oder Zweifamilienhäuser errichten”. Diese Gruppe wolle meist nicht beim Komfort Einbußen in Kauf nehmen, weswegen bei solchen Bauvorhaben das potenzielle Einsparpotenzial nicht ausgeschöpft werden könne. Die kostensenkenden Optionen, die nach Meinung von Fachpersonen bis zu zehn Prozent niedrigere Baukosten bedeuten, träfen lediglich auf Großprojekte zu.

Hauptgeschäftsführer vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) Felix Pakleppa gewinnt dem Gebäudetyp-E-Gesetz viel Positives ab. So sagt er: “Die erleichterten Möglichkeiten zur Aufstockung und Hinterhofbebauung sind sinnvoll und ermöglichen gerade im angespannten innerstädtischen Bereich die Schaffung von Wohnraum, ohne dass ein bestehender Bebauungsplan geändert werden muss”. Ebenso bewertet er die Beschleunigung von Bebauungsplänen als gut, weist jedoch darauf hin, dass es “Anpassungsbedarf bei den Lärmschutzbestimmungen gäbe, um die Baulandentwicklung zu fördern und Wohnbebauung zu ermöglichen”.

Fazit & Ausblick

Der neue Gebäudetyp-E-Gesetz wird nicht das erhoffte Allheilmittel sein, um das deutlich verfehlte Ziel der Bundesregierung von jährlich 400.000 neuen Wohnungen doch noch zu erreichen. Stattdessen werden privaten Bauherren und Bauherrinnen kaum in der Lage sein, diese kostensparenden Effekte in ihren Bauvorhaben zu erzielen. Zu groß sind die rechtlichen Ungewissheiten, sobald eine Bauweise nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht. 

Solche Baubeteiligten wie Bauträger:innen und Bauunternehmer:innen, die von dem kostensenkenden Effekt profitieren werden können, sind meistens selbst Teil des Problems. Die gewinnorientierte Kalkulation dieser Gruppen bewirkt seit Jahrzehnten, dass sich nur Besserverdienende den neu entstandenen (Luxus-) Wohnraum leisten können, nicht jedoch einkommensschwächere Bevölkerungsteile. 

Ob die dringlich benötigte Entbürokratisierung eintrifft, darf zumindest angezweifelt und muss erst noch unter Beweis gestellt werden. Insgesamt sind die Ansätze vom Gebäudetyp-E-Gesetz jedoch teilweise richtig und längst überfällig. 

NPF

Nathalie Pfeiffer ist Bautischlerin und Bauingenieurin. Nach über 18 Jahren Arbeitserfahrung in diesen Berufen hat sie Hammer und Bauhelm gegen die Tastatur eingetauscht, um als Fachjournalistin über architektonische, bautechnische und handwerkliche Themen zu schreiben. 

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